Ist das noch Handwerk? Eine Untersuchung von Eintragungs- und Abgrenzungsprozessen vor dem Hintergrund des technologischen Wandels
Ist das noch Handwerk? Eine Untersuchung von Eintragungs- und Abgrenzungsprozessen vor dem Hintergrund des technologischen Wandels Runst, P. (2019) Göttingen: Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen.
Im Verlauf der letzten 80 Jahre schrumpfte der Handwerkssektor. Der Anteil der
Handwerker1 an allen Erwerbstätigen sank von ca. 17 % (1934) auf ca. 12 % (2016). In
dieser Kurzstudie wird gefragt, ob technologische Veränderungen die Abgrenzung
zwischen dem Handwerks- (HWK) und Industrie- und Handelsbereich (IHK) erschweren
und dazu führen, dass traditionelle Handwerkstätigkeiten häufiger als IHK-Unternehmen
klassifiziert werden. Die Interviews mit Mitarbeitern der Kammern zeigen, dass sich das
Problem der Abgrenzung tatsächlich verschärft. Die Zuordnungskriterien sind vor dem
Hintergrund der neuen technologischen Bedingungen nicht trennscharf. Allerdings zeigt
sich auch, dass die Abgrenzungsprobleme quantitativ zu unbedeutend sind, um die
Schrumpfung des Handwerkssektors zu erklären. Außerdem bestehen die größten
Abgrenzungsprobleme nicht in einem schrumpfenden, sondern in einem wachsenden
Handwerksbereich (den Handwerken für den gewerblichen Bedarf).
In den schrumpfenden Bereichen des Handwerks - Bekleidung und Holz – gibt es zwar
auch teilweise Abgrenzungsprobleme, diese sind aber quantitativ weniger bedeutend als
im Metallbereich und tragen nur unwesentlich zur Schrumpfung bei. Als Tätigkeiten im
Bereich Holz und Bekleidung in den letzten 70 Jahren durch neue ersetzt wurden, ergab
sich nur selten ein Abgrenzungsproblem, denn die neuen Unternehmen sind i.d.R. klar als
Nicht-Handwerksunternehmen einzuordnen. Die Verschiebung von Handwerks- zu Nicht-
Handwerksunternehmen erfolgt also „unsichtbar“, insofern als die neuen Nicht-
Handwerksunternehmen in Abgrenzungsprozessen kaum auftauchen. Die kreative
Zerstörung alter Tätigkeiten und Prozesse vollzieht sich stattdessen oftmals auf globaler
Ebene, bspw. durch die Fertigung von Kleidung oder von Möbelstücken im Ausland.
During the last 80 years the crafts sector has shrunk from 17 % of the labor force in 1934
to about 12 % in 2016. In this study, we ask if technological change is blurring the
boundaries between the crafts and the industrial sector, each of which has its own system
of mandatory commercial association (crafts chambers vs industrial chambers). Interviews
with employees of both chambers demonstrate that the classification procedure, in which
newly founded companies are either classified as belonging to the crafts or industrial sector,
are becoming increasingly complex and difficult. Moreover, technological changes is
making a classification as industrial enterprise more likely (and classification as a crafts
company less likely) over time. However, the number of difficult classification procedures is
not quantitatively significant enough and can therefore not explain the shrinking of the crafts
sector overall. Furthermore, the crafts sub-sector with the highest incidence of classification
problems (metal crafts) is also the fastest growing one, and not shrinking, as one might
suspect.
The shrinking sub-sectors of clothing and wood-crafts do also see some classification
problems, they are however, quantitatively much less significant overall and they do not
cause the shrinking of the crafts overall. As woodwork and clothing crafts have been
replaced by new methods of production, classification was no longer an issue as new
companies were either clearly located within the German industrial sector or abroad, in an
increasingly global chain of production. The shift from crafts to non-crafts is taking place
somewhat invisibly as “new” companies no longer pose a classification problem.
Publisher
Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen
Organization
Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen e.V.