Cesare Beccaria und die Folter – Kritische Anmerkungen aus heutiger Sicht

2010 | journal article. A publication with affiliation to the University of Göttingen.

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​Cesare Beccaria und die Folter – Kritische Anmerkungen aus heutiger Sicht​
Ambos, K.​ (2010) 
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft : ZStW122(3) pp. 504​-520​.​

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Authors
Ambos, Kai
Abstract
Cesare Beccarias Forderung nach Abschaffung der Folter kann nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit seinem legendären Werk „Von den Verbrechen und den Strafen“1 und der darin zum Ausdruck kommenden kontraktualistisch- utilitaristischen Strafrechtskonzeption gewürdigt werden. Bevor wir uns deshalb seiner eigentlichen Kritik der Folter zuwenden (III.) und ihre aktuelle Bedeutung beurteilen wollen (IV.), ist zunächst die Beccaria-Rezeption im Allgemeinen (I.) und die Entstehungsgeschichte des Werks im Besonderen (II.) zu untersuchen.Die kleineUntersuchung erbringt imWesentlichen drei Ergebnisse, die ihr zugleich als Thesen vorangestellt werden können: 1. Beccarias Werk hat eine bis heute anhaltende Bedeutung als kriminalpolitischesManifest zur utilitaristisch begründeten Ersetzung des grausamen, religiösen mittelalterlichen Strafrechts durch ein säkulares und (damit) im Ergebnis humaneres Strafrecht. 2. Beccarias reiht sich insoweit in die Reihe zahlreicher anderer aufklärerischer Denker ein, vermag aber seine – durchaus nicht neuartigen – Thesen so populär zuzuspitzen, dass sie sich rasanter Verbreitung in zahlreichen Sprachen erfreuen. Dies erklärt Beccarias bis heute anhaltende Popularität. Seine fehlende Anerkennung der geistigen Vorläufer seiner Thesen und insbesondere der erheblichen Mitwirkung der Gebrüder Verri an der Entstehung seines Werks, gerade auch des Kapitels zur Folter, lassen allerdings Zweifel an seiner Originalität und wissenschaftlichen Redlichkeit aufkommen. 3. Die heutige praktische Bedeutung des Werks ist aufgrund der umfassenden normativen (völker- und verfassungsrechtlichen) Absicherung eines humaneren Strafrechts und eines fairen Strafverfahrens als gering zu veranschlagen. Auch per se inhumane und voraufklärerische Strafrechtssysteme bedürfen angesichts der menschenrechtlichen lex lata keiner Beccaria-Lektüre, um von der Notwendigkeit humanisierender Reformen überzeugt zu werden; sie sind zu diesen verpflichtet. Führen sie diese trotzdem nicht durch, wird Beccaria daran auch nichts ändern. Was insbesondere die von Beccaria mit neun Argumenten bekämpfte Folter angeht, so stellt sich die Lage nicht anders dar, wobei freilich seine Konzentration auf die im inquisitorischen Strafverfahren angewendete (repressive) Überführungsfolter den Blick auf die heute diskutierten Probleme im Zusammenhang mit der (präventiven) Rettungsfolter vollkommen verstellt.
Issue Date
2010
Journal
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft : ZStW 
Organization
Juristische Fakultät
Language
German

Reference

Citations