Partitur und Spiel. Die Stimme der Schrift im ›Codex Buranus‹

Abstract

Im Jahr 1803 wurde im Rahmen der Säkularisation der bayerischen Klöster aus der Abtei Benediktbeuern eine mittelalterliche Sammlung von 112 Pergament- blättern lateinischer Dichtungen und deutscher Verse in die damalige Kurfürstliche Hofbibliothek München übereignet. Dort verwahrt unter der Signatur clm 4660 und um 7 Blätter clm 4660a ergänzt, beginnt die Geschichte des ›Codex Buranus‹ als literarisches Buch nach den Begriffen des 19. Jahrhunderts. Der Codex wird in einem emphatischen Sinne zur Schrift, wenn man Schrift als Me- tonymie für jenen Prozeß der Verschriftlichung versteht, an dessen Ende, so wird behauptet, wir heute stünden und dessen an einer Textsammlung wie dem ›Codex Buranus‹ noch ablesbaren oralen Voraussetzungen unkenntlich gewor- den sind. Denn mit der Übereignung des mittelalterlichen und obendrein nur fragmentarisch überlieferten Codex ist eine Schrift nach dem kategorialen Ver- ständnis moderner Philologie geworden. 1847 hat der königliche Hofbibliothekar Johann Andreas Schmeller mit seiner Ausgabe den Anfang gemacht und den titellosen Lagen der Pergamenthandschrift den Namen ›Carmina Burana‹ gege- ben. 1901 edierte der Göttinger Professor Wilhelm Meyer die von ihm als Teil der Textsammlung erkannten sieben Blätter clm 4660a in seiner Abhandlung ›Fragmenta Burana‹. Meyer hat auch die Vorarbeiten geleistet, auf die der Frankfurter Gymnasialprofessor Otto Schumann zurückgreifen konnte. Zusammen mit Alfons Hilka begann er eine kritische und mit Kommentarbänden ausgestattete Ausgabe herzustellen, die Bernhard Bischoff weitergeführt hat.